Mehre Wahlplakate sind unscharf nebeneinander zu sehen.
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Vor der Europawahl werden immer wieder Angriffe auf Politikerinnen und Politiker bekannt. Braucht es härtere Strafen?

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Angriffe auf Politiker: Härtere Strafe nötig? Was Experten sagen

Angriffe auf Politikerinnen und Politiker häufen sich. Nun werden härtere Strafen bei Attacken auf Mandatsträger diskutiert. In den Kommentarspalten fragen BR24-User: Braucht es das überhaupt? Experten des Strafrechts haben eine klare Meinung.

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Vor der Europawahl kommt es aktuell immer wieder zu Angriffen auf Politikerinnen und Politiker. Bereits 2023 war die Zahl der Attacken auf Mandatsträger im Vergleich zum Vorjahr um 52 Prozent gestiegen, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag verkündete. Um härter durchgreifen zu können, fordert beispielsweise Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) einen neuen Straftatbestand. Rufe nach härteren Strafen werden laut. In der BR24-Community gehen die Meinungen dazu auseinander.

Angriffe auf Politiker: Braucht es ein neues Strafmaß?

Die jüngsten Attacken auf Politiker wie Matthias Ecke oder Franziska Giffey (beide SPD) sorgen für Diskussionen. Einig sind sich die allermeisten User in den Kommentarspalten von BR24 darin, dass sie die Angriffe verurteilen. So fordern Nutzer wie "KaleB306" etwa "drastische Strafen" für die Täter. Rufe nach härteren Strafen bei Attacken gegen Mandatsträger können hingegen nicht alle User nachvollziehen.

"Härtere Strafen speziell für Angriffe auf Politiker sind für mich ein falsches Signal. Vor dem Gesetz sollten alle Bürger, zumindest in der Theorie, gleich sein." BR24-Nutzer "Richard_Schaller"

Auch der User "PSD" ist der Ansicht, dass die bestehenden Gesetze ausreichen würden, um Gewalttaten angemessen zu bestrafen, die Bandbreite reiche dabei von der leichten Körperverletzung bis hin zur Todesfolge. Diese Ansicht teilen auch Experten.

Strafmaß: Beweggründe können bereits jetzt berücksichtigt werden

"Im Schutz von Leib und Leben sind wir alle gleich", so Nikolaus Bosch, Professor am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht der Universität Bayreuth im Gespräch mit BR24. Beim Sprechen von Urteilen würden Richter die Beweggründe und Motivationen für die Tat sowieso je nach Einzelfall berücksichtigen. So kann bereits jetzt ein Angriff auf einen Politiker härter bestraft werden als eine Schlägerei zwischen zwei Männern in einer Bar.

Dass bestimmte Menschen in bestimmten Situationen auch rechtlich durch einen eigenen Paragrafen im Strafgesetzbuch einen besonderen Schutz erhalten, sei möglich. Dies sei zum Beispiel bei Vollstreckungsbeamten der Fall, erklärt Bosch. "Man geht davon aus, dass etwa Polizisten durch ihren Beruf für die Allgemeinheit eine besondere Gefährdungslage auf sich nehmen und deshalb auch besonders geschützt werden müssen."

Nach Angriffen: "Politik möchte Zeichen setzen"

Möchte man Politikerinnen und Politiker nun ähnlich schützen, müsste man argumentieren, dass Mandatsträger wegen ihres Amts besonders gefährdet seien. Bundesinnenministerin Faeser argumentiert dabei mit den gestiegenen Zahlen von Angriffen auf Politikerinnen und Politiker. Ob sich durch einen neuen Straftatbestand die Strafen auch wirklich erhöhen würden oder weiterhin im bisher vorgesehenen Rahmen von Körperverletzungen bleiben würden, sei nicht klar.

"In erster Linie geht es darum, ein Zeichen zu setzen. Man möchte das politische Klima beeinflussen." Nikolaus Bosch, Universität Bayreuth

"Aktueller Strafrahmen ausreichend"

Zu einem ähnlichen Resümee kommt Michael Kubiciel, geschäftsführender Direktor des Instituts für die gesamten Strafrechtswissenschaften an der Universität Augsburg. "Eine dringende Notwendigkeit für einen besonderen Paragrafen sehe ich nicht", so Kubiciel im Gespräch mit BR24.

Der aktuell vorgesehene Strafrahmen sei ausreichend, auch für Angriffe auf Mandatsträgerinnen und Mandatsträger. So könne eine einfache Körperverletzung mit einer Geldstrafe oder Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Überraschend wäre es jedoch nicht, wenn in diesem aktuellen Fall ein neuer Straftatbestand eingeführt werden würde. In den letzten Jahren sei es häufiger vorgekommen, dass für Einzelfälle eigene einzelfallbezogene Tatbestände neu eingeführt worden seien, obwohl diese auch unter allgemeine Tatbestände gefallen wären, so Kubiciel. Ein Beispiel sei die Zwangsehe, die nun ein eigener Straftatbestand sei, obwohl diese auch unter den Begriff der "Nötigung" fallen würde.

Beleidigungen gegen Politiker können härter bestraft werden

Straftaten gegen Personen des öffentlichen Lebens - wie auch Politiker - härter zu bestrafen als Straftaten gegen gewöhnliche Bürger, sei keine Neuheit. Laut Paragraf 188 im Strafgesetzbuch werden Beleidigungen gegen Personen des öffentlichen Lebens härter bestraft als Beleidigungen gegen gewöhnliche Bürger. Dieser Paragraf sei jedoch sehr anspruchsvoll. Die Beleidigung müsse mit der Stellung des Beteiligten im öffentlichen Leben zusammenhängen und müsse das öffentliche Wirken der Person erschweren. Ein Schimpfwort unter vier Augen reiche dazu zum Beispiel nicht, Schmährufe bei einer öffentlichen Veranstaltung schon.

Das Gesetz geht in diesen Fällen davon aus, dass die Person des öffentlichen Lebens nicht nur als Person angegriffen oder beleidigt wird, sondern als Repräsentant oder Repräsentantin unseres Gemeinwesens. "Ein Schlag gegen einen Politiker oder Wahlhelfer wird auch als Schlag gegen unsere Demokratie und somit als Angriff auf uns alle gewertet", so Kubiciel.

Polizeigewerkschaft fordert besseren Schutz von Mandatsträgern

Die Polizeigewerkschaft GdP bewertet die Situation anders. "Wir brauchen einen besseren strafrechtlichen Schutz von Amts- und Mandatsträgern sowie eine personelle und technische Stärkung von Polizei und Justiz, damit sie nicht zur Zielscheibe werden", so Landeschef Stephan Weh kurz nach Bekanntwerden des Angriffs auf die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD). "Die Attacken auf Mandatsträger haben in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, im Social Media werden Hasskommentare abgegeben und mittels verbaler Gewalt der Nährboden für körperliche Gewalt gelegt."

"Problem ändert sich nicht, nur weil es ein neues Gesetz gibt"

Ob durch eine Gesetzesänderung wirklich potenzielle Täter von ähnlichen Angriffen abgeschreckt werden würden, bezweifeln Experten. "Das Problem ändert sich nicht, nur weil es neues Gesetz gibt", so Tatjana Hörnle, Direktorin des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg im Breisgau im Gespräch mit BR24. Das Problem sei die aufgeladene politische Stimmung im Land. Es sei schwierig, dem präventiv entgegenzuwirken, da Täterinnen und Täter häufig spontan und emotional agieren würden. Auch Hörnle ist der Meinung, dass die aktuellen Strafrahmen für Körperverletzungen, Nötigungen oder Sachbeschädigungen genug Spielraum zulassen, um auch solche Taten angemessen zu bestrafen.

Nachdenken könnte man hingegen möglicherweise über eine Anpassung des Paragrafen 241 im Strafgesetzbuch, in dem es um Bedrohung geht. Aktuell seien dort die Strafrahmen für nicht öffentliche Bedrohungen zum Teil noch relativ niedrig, so Hörnle. Es wäre daher denkbar, für die direkte verbale Bedrohung von Amts- und Mandatsträgern denselben etwas höheren Strafrahmen einzuführen, wie er bei Bedrohungen im Internet und in der Öffentlichkeit bereits gilt.

Im Audio: "Nicht hinnehmen": Entsetzen nach Angriff auf Giffey

Franziska Giffey.
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Politiker verschiedener Parteien und die Polizeigewerkschaft äußerten sich nach dem Angriff auf Franziska Giffey bestürzt.

Mit Material von dpa.

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