In Stuttgart hat heute der Prozess gegen neun mutmaßliche Mitglieder der "Gruppe Reuß" begonnen.
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In Stuttgart hat heute der Prozess gegen neun mutmaßliche Mitglieder der "Gruppe Reuß" begonnen.

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Reichsbürger vor Gericht: Mammutprozess in Stuttgart gestartet

In Stuttgart hat der erste Prozess gegen die Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Sie sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant und vorbereitet haben. Vor Gericht stehen neun Männer, die dem "militärischen" Arm der Gruppe zugerechnet werden.

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In Stuttgart hat der erste von drei Prozessen um eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger begonnen
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In Stuttgart hat der erste von drei Prozessen um eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger begonnen

Mit dem Prozess gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht hat ein historisches Verfahren begonnen. Die Verdächtigen sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant haben. In Stuttgart geht es vor allem um den gewaltbereiten Arm der Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen. 

Insgesamt neun Männer, allerdings nicht Reuß selbst, müssen sich im streng gesicherten Saal in Stammheim verantworten – dort, wo einst die RAF-Spitze vor Gericht stand. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen und die sogenannte "Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens".

Angriff auf den Bundestag geplant

Die am Oberlandesgericht verlesene Anklage klang teils bizarr. Wie die Anklagevertreter vortrugen, sollen die Angeklagten davon überzeugt gewesen sein, dass Deutschland von einer "verschwörerischen Sekte pädophiler Eliten" beherrscht werde, deren Gegenspieler eine sogenannte "Allianz" sei – ein Geheimbund von Regierungen, Geheimdiensten und Militärs verschiedener Staaten wie Russland und den USA. Von dieser "Allianz" sollen sie sich die Befreiung Deutschlands erhofft haben.

Die Gruppe soll geplant haben, zunächst einen politischen Umsturz mit einem Angriff auf den Bundestag und der Festnahme von Abgeordneten zu erreichen. Sie sei davon überzeugt gewesen, dass die Bevölkerung "aufwachen" und sich hinter sie stellen werde, so ein Vertreter der Bundesanwaltschaft. Die Mitglieder hätten gewusst, dass es bei der geplanten Machtübernahme Tote geben könnte. Die Gruppe verfügte laut Bundesanwaltschaft über ein "erhebliches Gefährdungspotenzial", die demokratische Grundordnung Deutschlands habe sie entschieden abgelehnt.

Nach dem Umsturz habe der als provisorisches Staatsoberhaupt vorgesehene Heinrich XIII. Prinz Reuß, mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, die neue staatliche Ordnung Deutschlands verhandeln sollen, so die Anklagevertreter. Den Vorwürfen zufolge sah die Gruppe ihr eigenes zentrales Gremium, den sogenannten Rat, als Übergangsregierung für Deutschland.

Warten auf ein Zeichen von der "Allianz"

Nach der Festnahme von mutmaßlichen Anführern einer anderen Gruppe, welche unter anderem die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant haben soll, habe die Gruppe um Reuß im April 2022 ihre Strategie geändert. Nun habe sie darauf gesetzt, dass die "Allianz" ihr an einem Tag X ein Zeichen geben werde, dass sie die obersten Institutionen Deutschlands angreife. Die Gruppe selbst habe geplant, dann Institutionen und Amtsträger auf den Ebenen von Bundesländern, Kreisen und Kommunen zu beseitigen. 

Vor allem hier kommen die Vorwürfe gegen die insgesamt neun Angeklagten ins Spiel, die in Stuttgart vor Gericht stehen. Sie sollen größtenteils dem "militärischen" Arm der Gruppe angehört haben. Der Anklage zufolge begann die Gruppe mit dem Aufbau sogenannter "Heimatschutzkompanien", die den Umsturz auf regionaler Ebene hätten durchsetzen sollen. Die Vorbereitungen seien in Baden-Württemberg und Thüringen besonders weit gediehen: Hier seien Heimatschutzkompanien schon in der Lage gewesen, eigenständig aktiv zu werden.

Von Verbindungsoffizieren und Sprachrohren

In Stuttgart ist auch Marco van H. angeklagt, der sich gegenüber den Rädelsführern als ehemaliger Soldat der "Allianz" ausgegeben haben soll. Er soll dann, so der Vorwurf, zum "Verbindungsoffizier" der Gruppe zu diesem nicht existierenden Geheimbund ernannt worden sein. Der Angeklagte Alexander Q. soll der Gruppe seinen erfolgreichen Kanal auf Telegram zur Verfügung gestellt haben, der als ihr "Sprachrohr" fungiert habe.

Eine Anklage lautet auf versuchten Mord

Allen neun in Stuttgart Angeklagten wirft die Bundesanwaltschaft die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor. Zwei von ihnen sind außerdem wegen Waffendelikten und ein Mann, Markus L., zusätzlich wegen versuchten Mordes angeklagt. Nach den ersten Festnahmen im Dezember 2022 hätten die Ermittler eine von ihm unterschriebene Verschwiegenheitserklärung der Gruppe gefunden, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft.

Im März 2023 wurde L.s Wohnung im baden-württembergischen Reutlingen durchsucht. Er soll sich darauf vorbereitet und Waffen in Wohnzimmer, Schlafzimmer und Garage postiert haben. Bei der Durchsuchung soll er dann mit einem Schnellfeuergewehr auf Polizisten geschossen haben. Zwei Beamte wurden verletzt, einer von ihnen kann nach Angaben der Anklage voraussichtlich nicht mehr in seiner bisherigen Stellung im baden-württembergischen SEK bleiben.

Verteidigung will Aussetzung des Verfahrens

Mehrere Verteidiger stellten den Antrag, das Verfahren in Stuttgart einzustellen oder auszusetzen. Sie wollen, dass es mit den beiden anderen geplanten Großverfahren in München und Frankfurt am Main verbunden wird. Das Gericht stellte eine Entscheidung darüber erst einmal zurück und lehnte es ab, die Hauptverhandlung auszusetzen.

Die Verhandlung sollte am Nachmittag fortgesetzt werden. Das Stuttgarter Oberlandesgericht setzte vorläufig Verhandlungstage bis Anfang Januar 2025 an. Der Prozess in Frankfurt, in dem Reuß selbst sowie die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann vor Gericht stehen, beginnt am 21. Mai, der Münchner Prozess am 18. Juni. Insgesamt sind 26 Personen angeklagt.

Die drei Prozesse stellen aber nicht das Ende der Ermittlungen dar: Nach Angaben der Bundesanwaltschaft unterschrieben mindestens 136 Menschen die Verschwiegenheitserklärung der Gruppe.

Mit Informationen von AFP

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